Im Porträt: Dr. Mirjam Seeliger, Naturschutzberaterin der LMS Agrarberatung GmbH
Erschienen im DeFAF-Infobrief 04/2023
Dr. Mirjam Seeliger hat Biogeographie und Nutzpflanzenwissenschaften studiert und anschließend zum Thema Mykorrhizapilze im Weizenanbau promoviert. Seit 2022 ist sie Naturschutzberaterin bei der LMS Agrarberatung GmbH, welche vom Ministerium für Klimaschutz, Landwirtschaft, ländliche Räume und Umwelt Mecklenburg-Vorpommern (LM) für die Prüfung des Nutzungskonzeptes für Agroforstsysteme beauftragt worden ist.
Frau Dr. Seeliger, wie bewerten Sie das Potential von Agroforstsystemen (AFS) in Mecklenburg-Vorpommern (MV) – welche Vorteile können AFS in Bezug auf Klimaanpassung der Landwirtschaft und Förderung der biologischen Vielfalt in MV bringen?
Wie auch in Brandenburg wirtschaften wir in MV auf sehr großen Schlägen und zum Teil in einer stark ausgeräumten Agrarlandschaft. Alleine deswegen sehe ich es von Vorteil z.B. für die Biodiversität, wenn durch AFS mit den Bäumen mehr Strukturen geschaffen werden, die Biotope verbinden und als Pufferstreifen in großen Schlägen dienen. Viele Artengruppen wie z.B. Lurche wandern nur für ihre Habitat Suche nur wenige 100 m, das heißt ein 80 ha Schlag ist für viele Organismen quasi Wüste. Für die heißer werdenden Sommer und Frühjahrsdürren wäre auch das Mikroklima ein wichtiger Faktor, was durch die Beschattung und Transpiration der Bäume letztendlich auch das Wasser wieder mehr in der Landschaft halten würde. Gleichzeitig könnten wir solche Erosionsereignisse verhindern, wie das von 2011 auf der A19, bei welchem 85 Autos nach einem Sandsturm von einem Acker kollidiert waren. Mit Agroforst können wir durch Humusaufbau auch unsere Böden verbessern, und die Fruchtbarkeit, die noch da ist, bewahren. Also ja, ich sehe da ein sehr großes Potenzial für AFS in MV!
Nach dem GAP-Strategieplan der Bundesregierung sollen AFS über die 2. Säule der GAP mit einer Investitionsförderung gefördert werden, welche die Bundesländer umsetzen sollen. Wie steht es um die aktuelle Förderung von AFS in MV?
Wir haben seit Juli 2023 eine Investitionsförderung in MV, mit der landwirtschaftliche Betriebe bei der Anlage von streifenförmigen AFS auf Acker- und Grünland unterstützt werden. Es werden bis zu 65 % der Nettoausgaben gefördert, was die Pflanzung und das Pflanzgut miteinschließt. Für Streifen mit Kurzumtriebsnutzung werden bis zu 1.566 €/ha, für die Pflanzung von Sträuchern bis 4.138 €/ha und für Agroforststreifen zur Nahrungsmittel- und Wertholzproduktion werden bis zu 5.271 €/ha übernommen. Bei den Richtlinien was z.B. Gehölzarten und Abstände der Streifen usw. angeht hat man sich hier an die Ökoregelung 3 gehalten, was wir bei der LMS wiederum mit dem Nutzungskonzept prüfen. Den Antrag für die Förderung stellt man aber beim StALU (Staatliches Amt für Landwirtschaft und Umwelt).
Als Mitarbeiterin der LMS bearbeiten Sie die Nutzungskonzepte zur Etablierung von AFS – wie nehmen Sie die Nachfrage zur Beantragung von AFS in Mecklenburg-Vorpommern wahr?
Dieses Jahr hatten wir schon einige Anträge, aber letztendlich wurde aus unterschiedlichen Gründen keine Förderung genehmigt. Entweder war der Antrag fehlerhaft, wurde wieder zurückgezogen oder es wurde kein Nutzungskonzept eingereicht. Das ist sehr schade, aber wir haben trotzdem schon einige interessierte Landwirte und Landwirtinnen, die entweder bereits vor der Förderung Agroforst umgesetzt haben, oder noch in der Planung sind. Deswegen hoffe ich, dass wir in Zukunft mehr Agroforst in MV haben werden!
Was hindert aktuell die Verbreitung von Agroforstsystemen in MV?
Da gibt es diverse Gründe, die ich mir vorstellen könnte. Zum einen ist die Prämie von 60 €/ha Gehölzstreifen bei der Ökoregelung 3 dieses Jahr sehr gering gewesen; mal schauen, ob es bei 200 €/ha nächstes Jahr attraktiver wird, den Antrag zu stellen. Eine weitere Hürde könnte sein, dass für die Prüfung des Nutzungskonzeptes Kosten anfallen, was bei der geringen Förderung eventuell abschrecken kann. Dann gibt es auch Fälle, in denen das AFS in ausgewiesenen Schutzgebieten geplant wurde, z.B. in Vogelschutzgebieten, und da kann es zu Problemen mit der UNB kommen. Letztendlich besteht noch einige Skepsis in der Praxis Bäume auf dem Ackerland zu etablieren.
Welche Anreize brauchen Landwirte, um AFS in MV anzulegen?
Wichtig wäre es allgemein erstmal das Thema attraktiv zu machen, das heißt die Vorteile von AFS zu kommunizieren und bereits umgesetzte AFS zu besichtigen, aber nicht nur mit den Praktiker*innen, sondern auch mit den staatlichen Institutionen – deswegen hatten wir z.B. diesen Juni den Agroforst-Infotag zusammen mit dem DeFAF auf dem Biohof Garvsmühlen organisiert, wo bereits seit 2020 Bäume auf dem Acker stehen. Hier könnte man auch direkt nicht-landwirtschaftliche Landbesitzende mit ins Boot holen, damit am Ende motivierte Landwirt*innen auch die Genehmigung bekommen auf Pachtland Bäume zu pflanzen. Das wichtigste ist aber der Rückenwind von der Politik und der Verwaltung- Rechtssicherheit spielt hier eine ganz große Rolle, denn viele Landwirt*innen befürchten, dass aus den Gehölzstreifen Landschaftselemente bzw. Biotope werden. Das muss klar definiert, abgegrenzt und kommuniziert werden, wie es sich da verhält. Und wenn es dann noch eine angemessene Förderung gibt, und hier die Auflagen nicht zu streng sind- je einfacher, desto besser!
Die landwirtschaftliche Fläche Mecklenburg-Vorpommerns liegt zu 23 % in Naturschutzgebieten und Natura2000-Gebieten. Welche Herausforderungen sehen Sie in Bezug auf die Etablierung von AFS in diesen Gebieten?
Auch in FFH- und Vogelschutzgebieten haben wir teilweise die bereits beschriebenen weiten, leeren Agrarlandschaften, wo sich Bäume definit positiv auf die Naturkulisse auswirken würden. Letztendlich fördert man mit Bäumen die Diversität auf dem Acker und im Boden, und somit ökologische Nischen, die wiederum durch die zu schützenden Arten, wie z.B. Feldvögel usw. genutzt werden könnten. Allerdings haben wir in diesen Gebieten auch die strengsten Auflagen für Veränderungen in der Flächennutzung. Es gibt zum Beispiel Nutzungskonflikte in Vogelschutzgebieten für überwinternde Zugvögel oder Silhouettenflüchter wie den Kiebitz, die auf Offenlandschaften angewiesen sind. Hier fehlen Studien, die den Effekt von AFS auf diese Vogelarten untersuchen. Dennoch glaube ich, dass wir ohnehin stets ein Mosaik aus offenen Ackerschlägen haben werden, und nicht gleich alle Äcker mit Bäumen bepflanzt werden.
Welche Schritte sind aus ihrer Sicht notwendig, um AFS in MV in die Fläche zu bringen?
Ich denke, wir brauchen mehr Verständnis dafür, dass Biodiversitätsförderung und Landwirtschaft sich nicht widersprechen. Bei den Landwirt*innen bzw. schlussendlich in der Förderpolitik müssen wir weg von dem Denken des Flächenverlusts durch Baumpflanzungen und hin zum Schutz und Aufbau des Bodens. Agroforst wird aktuell noch als ein „invasiver“ Eingriff in die Landschaft gesehen, weil Strukturen geschaffen und wieder entnommen werden. Dabei ist es ja, wie bereits beschrieben, vor allem eine diversifizierende Anbaumethode, die wir dringend brauchen, um unsere Klimaziele zu erreichen, und den Artenschwund aufzuhalten. Außerdem werden nicht alle AFS auf einen Schlag beerntet, sondern können sukzessive genutzt werden und somit noch mehr Vielfalt schaffen. Meiner Meinung nach können wir nicht auf wissenschaftlichen Beweisstudien warten, sondern müssen handeln und das Neue wissenschaftlich begleiten, so wie das Projekt SEBAS oder das Monitoring von der Universität Münster es tun. Vielleicht sollten wir insgesamt etwas offener und zuversichtlicher sein, dass Agroforst der richtige Weg ist- und hier deutet alles, was ich bisher aus Deutschland und anderen Ländern gehört, gelesen und gesehen habe, darauf hin. Dafür braucht es einen gewissen Innovationsgeist, sowie Flexibilität im Verwaltungsapparat, und vor allem Vertrauen in die Landwirt*innen, die sich für AFS begeistern.
Dieses Interview wurde im Rahmen des Projektes SEBAS – Förderung der biologischen Vielfalt durch Agroforstwirtschaft – durchgeführt. Das Projekt SEBAS wird gefördert im Bundesprogramm Biologische Vielfalt durch das Bundesamt für Naturschutz mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz.