Ein Interview mit dem Projektteam

20.06.2021

In einem aktuellen Projekt möchte eine Gruppe junger Akademiker:innen die Wirkungen von Agroforstsystemen in Agrarlandschaften untersuchen. Besonders an diesem Projekt ist, dass die Datenerhebung gemeinsam mit Bürger:innen erfolgen soll. Diese sogenannte „Citizen science“ oder „Bürgerwissenschaft“ ist damit ein ganz besonderer Ansatz des Wissenstransfers. In einem Interview erzählen uns Thomas Middelanis, Julia Binder, Anna Ortmann und Teelke Meyenburg von der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster bzw. der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität (RFWU) Bonn, was genau hinter dem Projekt steckt.

In eurem Projekt möchtet ihr mit „Citizen Science“ bzw. „Bürgerwissenschaften“ Agroforstsysteme erforschen. Was hat euch motiviert, diesen Weg zu gehen?

Julia: Uns war klar: Allein können und wollen wir unseren akademischen Weg nicht fortsetzen. Wir wollten nicht mehr allein irgendwo Studien durchführen, deren Ergebnisse niemand zu Gesicht bekommt. Im Gegenteil, wir wollten von Beginn an die verschiedenen Lokalgruppen in unsere Planung, Durchführung und Analyse einbeziehen, um so gemeinsam Agroforstsysteme zu erforschen. Und genau darum geht es bei Citizen Science: Um die bewusste Beteiligung von interessierten Bürgerwissenschafter:innen an wissenschaftlichen Tätigkeiten. Dadurch versuchen wir zum einen praxisferne Versuche zu vermeiden und zum anderen aktuelle Fragestellungen aus der Praxis aufzugreifen. Erst die tatkräftige Unterstützung durch Bürgerwissenschaftler:innen macht ein solches umfangreiches Monitoring dieser spannenden Systeme überhaupt möglich.

Thomas: Für mich beinhalten gelingende Bürgerwissenschaften auch immer die Offenheit für Wissensaustausch. Ich fände es schön, wenn sich das Forschungsnetzwerk mit jedem Jahr weiterentwickelt und die aktuellen Fragen aus der „Agroforst-Praxis“ auf dem Schirm hat. Wie, wenn nicht mit Citizen Science, kann uns die Miteinbeziehung aller Beteiligten gelingen?

Die Erfassung der Daten soll über Lokalgruppen erfolgen. Was steckt dahinter und wie erreicht ihr die Personen vor Ort?

Teelke: Mit Lokalgruppen sind unterschiedlichste Personen mit Neugier oder Interesse für Agroforst gemeint. Wir wollen an den Orten der Betriebe und Höfe Netzwerke aus Freiwilligen bilden, die vor Ort die Daten erheben. Dabei ist es egal, ob bereits Vorwissen besteht, jeder ist willkommen. Von Naturschutzgruppen, über Ökologie-Interessierte bis zu Schulklassen kann jeder mitwirken. Die Lokalgruppen können dann je nach verfügbarer Zeit einen bis mehrere Tage auf dem Betrieb die Daten für das Projekt erheben.

Anna: Wir wollen gemeinsam mit den Betrieben und ihren lokal bestehenden Netzwerken ein bürgerwissenschaftliches Monitoring durchführen. Die Lokalgruppen werden sich je nach Agroforst-Betrieb, den dortigen Strukturen und Interessierten individuell zusammensetzen. Willkommen in den Lokalgruppen mitzuwirken sind alle, die Lust darauf haben – von Schulklassen über Naturschutzgruppen, Agroforst-Skeptiker:innen & Agroforst-Begeisterte, Hobby-Ökolog:innen, Studierende oder ganz einfach Neugierige. Willkommen ist auch Expertise aus Ökonomie, Ökologie und Sozialwissenschaften, denn die Citizen Scientists sind eingeladen, den im Rahmen des Projektes erarbeiteten Agroforst-Monitoring-Methodenkatalog gemeinsam mit uns weiterzuentwickeln und hierbei ihr Wissen einzubringen.

Julia: Die Personen vor Ort erreichen wir über lokale bzw. regionale Strukturen. So haben wir z.B. auf unserer Juni-Geländekampagne ersten Kontakt zum ansässigen Umweltbildungszentrum SCHUBZ der Hansestadt Lüneburg für unsere Lokalgruppe auf dem Hof Hartmann in Rettmer geknüpft. Zudem werden wir auf unserer zweiten Kampagne im August Informationsabende anbieten, zu denen Multiplikator:innen aus den verschiedenen, potentiellen Lokalgruppen eingeladen werden sollen. An diesen Abenden werden wir die Pläne für die kommenden Jahre vorstellen und die Möglichkeit zur Vernetzung bieten. Bewerben werden wir die Veranstaltung über lokale Medien, wie Zeitungen, Mailverteiler oder auch SocialMedia.

Inwiefern denkt ihr sind die Ergebnisse des Projektes übertragbar und für wen sind sie besonders interessant?

Teelke: Unsere Ergebnisse liefern in erster Linie genaue Informationen über die beteiligten Betriebe und Höfe. Jeder Betrieb ist sehr individuell, wenn es z.B. um Agroforsttyp, Baumreihenabstände, Fruchtfolge oder Baumarten geht. Wir wollen jedoch das allgemeine Verständnis von Agroforstsystemen, wie sie funktionieren und welche Effekte auftreten, stärken. Unser Monitoringskonzept soll auch auf anderen Höfen angewendet werden können und dort ein Netzwerk aus Agroforst-Interessierten bilden. Vielleicht hilft das Projekt, mehr auf Agroforst aufmerksam zu machen und die Systeme zu verbreiten.

 Anna: Unser Wunsch ist es, dass das Netzwerk aus Monitoring-Betrieben weiter anwachsen wird in den kommenden Jahren und vielerorts in Deutschland die derzeit neu entstehenden Agorforstsysteme gemonitort werden. Das Monitoring soll sich nach den Fragestellungen der beteiligten Betriebe, Wissenschaftler:innen und Lokalgruppen-Mitgliedern richten. Das Schöne ist, dass im Rahmen des Projektes die Grenzen zwischen diesen verschiedenen Gruppen verschwimmen und durch den gemeinsamen Austausch ganz neue gemeinsame Fragestellungen entstehen können. Die Ergebnisse des Monitorings sind im besten Fall interessant für alle Beteiligten. Aus der Gesamtheit und an Monitoring-Erkenntnissen erhoffen wir uns, das Wissen über Agroforstsysteme hierzulande zu mehren.

Julia: Was ich vor allem sehr spannend an unserem Projekt finde, ist, dass nun die sehr wichtigen, aber auch teilweise idealisierten Modellsysteme aus bekannten Forschungsprojekten durch Begleitforschung in der realen Landwirtschaft ergänzt werden. Kann Agroforstwirtschaft in der Praxis die vielen Hoffnungen erfüllen? Das wollen wir, genauso wie die praktizierenden Landwirt:innen, herausfinden. Um dann – einen Schritt weiter gedacht – anderen Landwirt:innen aufzuzeigen, dass Agroforst ein Teil der Lösung unserer derzeitigen Probleme ist.

Thomas: An dieser Stelle will ich auch noch betonen, dass wir weder einen „wissenschaftlichen Aktivismus“ noch eine „akademische Missionierung“ verfolgen, sondern in erster Linie versuchen uns wissenschaftlich dem hochkomplexen „Ökosystem Agroforst“ zu nähern. Vieldimensionalität, Multifunktionalität: Das begeistert uns und „wir“ sind vielleicht die erste Antwort auf deine Frage. Das Schöne ist, dass sich die Interessen von Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Landwirtschaft im Bereich Agroforst in vielen Aspekten überscheiden. So werden unsere Ergebnisse eines Tages hoffentlich auch viele verschiedene Menschen interessieren.

Wo seht ihr Grenzen und Herausforderungen des Projektes, z.B. im Hinblick auf Datenqualität und im Vergleich zu professioneller Wissenschaft?

 Anna: Der Aufbau der Lokalgruppen läuft gerade erst an. Wir sind optimistisch, dass sich im Umfeld aller Höfe Aktive in Lokalgruppen zusammenfinden werden. Das Monitoring der verschiedenen Dimensionen von Agroforstsystemen, vom Sozialen über das Ökonomische bis hin zum Ökologischen wird einiges an Zeit und Energie erfordern. Diese zu mobiliseren und koordinieren, wird sicher eine spannende Herausforderung!
Eine ursprünglich für diesen Juni größer geplante Geländekampagne mit Infoveranstaltungen & Vernetzungstreffen für Citizen Scientists auf den Agroforst-Höfen konnte Corona-bedingt leider nicht stattfinden, wir hoffen diese im August nachholen zu können.

Thomas: Am Ende ist und bleibt der Einfluss auf die Betriebswirtschaft und die -abläufe eines Hofs der zentrale Aspekt von Agroforstwirtschaft. Und das wird vielleicht noch deutlicher, sobald eines Tages nicht mehr über die rechtlichen Grundlagen diskutiert werden muss. Ich würde mir wünschen, gerade hier in der tatsächlichen Praxis, die monetäre, zeitliche und auch gesellschaftliche Wirtschaftlichkeit begleitend zu erforschen. Dies ist ein ganz großer Brocken, wo es bestimmt noch viel interdisziplinären Austausch braucht.

Tatsächlich werden gegenüber der Datenqualität von Citizen Science-Studien an mancher Stelle Zweifel erhoben. Wir glauben, dass durch gute Anleitungen sowie intensive Betreuung der Bürgerwissenschaftler:innen durch Studierende oder Uni-Beschäftigte bei den Datenerhebungen auch deren Qualität gesichert werden kann. Wieviel Fachwissen bringen die Citizen Scientists vor Ort mit? Wie wird die Begleitung genau ausgestaltet? Zum Beispiel durch gemeinsame Messkampagnen und „Forschungscamps“ als Basis des Monitorings? Das sind Fragen, die wir im Laufe der kommenden Monate innerhalb des Projekt-Netzwerkes klären möchten.

Das Projekt dauert noch bis September 2022 an. Was passiert danach? Gibt es schon Ideen für eine Fortsetzung?

Anna: Das Projekt soll auf jeden Fall länger als bis Ende kommenden Jahres laufen. Wie genau steht noch nicht fest. Da die Agroforstwirtschaft in Deutschland zurzeit zunehmend an Aufmerksamkeit und Interesse gewinnt, sind wir zuversichtlich, dass das Projekt eine langfristige Zukunft hat! Ausschlaggebend für die genaue Form werden auch die lokal entstehenden Citizen Scientists-Gruppen sein.

Julia: Richtig, lediglich die Erstfinanzierung endet im März 2023. Das Monitoring ist aber für viele Jahre geplant. Sicher ist, dass jedes Sommersemester eine Gruppe von ca. neun Landschaftsökologiestudierenden der WWU Münster im Rahmen ihres Mastermoduls an dem Projekt mitarbeiten. Diese Strukturen haben wir bereits an unserem Institut fest etabliert. Weitere Kooperationen sind derzeit in Planung.

Thomas: Mein persönlicher Wunsch wäre eine Fortsetzung des hochschulübergreifenden Austauschs, der sich für mich zuletzt in Form von Videotelefonaten mit anderen Forschenden offenbart hat. Wenn Forschungsarbeiten von unterschiedlichen Instituten und Fakultäten auf ein und demselben Hof sich gegenseitig ergänzen und aufeinander aufbauen, können wir auch hier von Agroforstsystemen als Begegnungspunkten sprechen. Der DeFAF ist für mich eine super Chance, solche Begegnungen zu ermöglichen.