Im Porträt: Dr. Jennifer Schulz

Die Agroforstwirtschaft bietet nicht nur für landwirtschaftliche Flächen im ländlichen Raum viele Vorteile. Städtische Agroforstsysteme wie z.B. urbane Waldgärten können dazu beitragen, das Stadtklima zu verbessern, Lebensmittel direkt vor Ort zu erzeugen und daran die Bürgerinnen und Bürger teilhaben zu lassen. Dr. Jennifer Schulz, DeFAF-Mitglied und Mitarbeiterin an der Universität Potsdam, verrät uns im Interview, wie Städte sich diese Vorteile zunutze machen können.

Jennifer, du leitest an der Universität Potsdam das Projekt Urbane Waldgärten. Welche Motivation steckt dahinter?

Ich habe sehr lange vor allem komplexe Agroforstsysteme auf dem Land geplant, realisiert und auch gemanagt. Außerdem habe ich Landwirte und Gärtner zu dem Thema geschult. Eigentlich bin ich Berlinerin und als ich nach über zehn Jahren in Portugal, Spanien, Italien, Brasilien zurückkehrte, habe ich gestaunt, wie das Phänomen des Urban Gardenings in den Städten und vor allem in Berlin das Stadtgrün beeinflusst. Da dachte ich: Mensch, das kann man doch eigentlich auch besser machen und dauerhafte Systeme etablieren. Warum bringt man nicht einfach Waldgärten in der Stadt, am besten hier direkt vor meine Haustür und ließe sich damit nicht eine neue Form langfristiger, multifunktionaler Grünflächen entwickeln? Ich habe damals das Bundesamt für Naturschutz kontaktiert und die empfahlen mir, eine Projektskizze anzufertigen. Und so wurde aus einer kleinen Idee dann ein größeres Projekt.

Die erste Phase vom Projekt Urbane Waldgärten, die dann vom Bundesamt für Naturschutz in Form einer Voruntersuchung eines Erprobungs- und Entwicklungsvorhabens gefördert wurde, war im Grunde genommen eine Machbarkeitsstudie für Waldgärten in der Stadt. Damit konnten wir analysieren, wie man städtische Grünflächen dahingehend entwickeln kann, dass man Synergien schafft zwischen Urban Gardening, Beteiligungsformen, Klimaschutz, Aufwertung der Lebensqualität, Biodiversität, Bodenschutz, Wasserrückhalt – also all die Aspekte, die Grünflächen in der Stadt leisten müssen verbunden mit der Produktion von Lebensmitteln.

Wie sieht es mit dem Planungsaufwand aus?

Aktuell sind wir noch in der Bau- und Pflanzphase. Viele Bürger:Innen sind wirklich hochmotiviert, sich zu beteiligen und die Flächen mitzugestalten. Wir haben über drei Jahre ein Beteiligungsverfahren durchgeführt und inzwischen haben sich über 100 Leute beteiligt. Erfreulicherweise entwickelt sich eine kontinuierliche Gruppe die bereits ganz intensiv in regelmäßigen Meetings mitgeplant haben. Dazu gehört die Berücksichtigung von Kindern und Jugendlichen, Mehrgenerationengerechtigkeit und weitere soziale Themen. Es geht aber auch darum, welche Pflanzen wir im Waldgarten haben wollen und wie wir gemeinsam damit umgehen, dass es nicht wie bei einem klassischen Urban Gardening Projekt abgegrenzte Nutzeinheiten gibt. Besonders die Frage wie der gemeinschaftliche Waldgarten langfristig gepflegt und wie die Ernte organsiert wird ist spannend. Der Betriebsaufwand und die gemeinschaftliche Organisation ist also auch ein Aspekt, den wir in den nächsten Jahren wissenschaftlich begleiten und auch basierend auf praktischen Erfahrungen in Berlin und Kassel auswerten.

Wieviel Produktionspotenzial bieten urbane Waldgärten denn?

Das ist tatsächlich ein Kernthema von dem Projekt und auch ein kritischer Punkt, z.B. auch bei Gesprächen mit der Senatsverwaltung in Berlin. Dort wurde gefragt: „Kann denn ein Waldgarten ein ernsthafter Beitrag zur Ernährung im Sinne der essbaren Stadt sein?“ Die Frage ist aber aus meiner Sicht etwas irreführend, denn es ist klar, dass auf den derzeit sehr begrenzt verfügbaren städtischen Flächen nicht ausreichend für die Stadtgesellschaft produziert werden kann, egal ob das ein Kartoffelacker ist oder ein Waldgarten. Der Anteil an produktiver Fläche im Verhältnis zur Bevölkerung ist sehr gering. Aber mit einem Waldgarten kann den „Stadtmenschen“ das Thema Ernährungsbildung und Erfahrungen mit dem Anbau einer Vielfalt an hier wachsenden essbaren Pflanzen zugänglich gemacht werden und so eine breitere indirekte Wirkung entfalten als das reine Produktionspotenzial. Es gibt gerade aber auch ein paar interessante Forschungsprojekte, die die städtischen Produktionspotenziale z.B. von Kleingärten und Urban Gardening untersucht haben. Und auch wir werden den Waldgarten hinsichtlich des Produktionspotentials auswerten und verschiedene Waldgartentypen vergleichen. So besteht die Frage inwieweit Trade-offs zwischen Bewirtschaftungsintensität und Naturnähe bestehen und wie sich das quantifizieren lässt. Wir haben verschiedene Zonen in unserem Waldgarten geplant, also solche, in denen die Bäume weniger dicht stehen und so z.B. intensiver Gemüse angebaut werden kann und auch Zone, die extensiver genutzt werden soll. Jeder Waldgarten kann also auch ein anderes bzw. verschiedene Produktionspotenziale haben, in der Stadt stehen aber die anderen Funktionen auch mit im Fokus.

Derzeit betreue ich eine Masterarbeit zu dem Thema Ernte-Monitoring und den Möglichkeiten, wie wir die verschiedenen Intensitätsstufen im Waldgarten dokumentieren und messen können. Das ist angesichts der Vielfalt an Nutzpflanzen und den teils eher kontinuierlichen Erträgen eine Herausforderung. Auch im ländlichen Kontext ist das Monitoring von Erträgen in Waldgärten meines Wissens bisher noch nicht gut entwickelt.

Sind städtische Waldgärten vielleicht nur ein Trend von Städtern, um sich etwas nachhaltiger zu fühlen?

Mein Eindruck ist, dass das Interesse an Waldgärten derzeit weit darüber hinausgeht. Dies ist aktuell insbesondere befeuert durch die zunehmende Wahrnehmung, wie gravierend Trockenheit und Hitze sich in der Stadt auswirken und wie wichtig nicht nur Stadtgrün, sondern auch das Thema regionale Versorgung sein könnte. Auffällig ist, dass sich zunehmend auch Menschen dafür interessieren, die klassischerweise nichts mit Gärtnern oder Ökologie zu tun haben. Die Menschen, die derzeit mitmachen, kommen nicht nur einmal vorbei, sondern sind vorwiegend kontinuierlich sehr engagiert. Es scheint, dass es weniger darum geht, mit den Leuten in der Stadt Lebensmittel zu produzieren, sondern darum, in so einer Modellphase Orte zu schaffen, an denen man etwas lernt: Was wächst in einem Waldgarten eigentlich, was kann man davon essen? Und wie kann man daraus gesunde Lebensmittel herstellen? Darum haben wir auch Außenküchen mit eingeplant und arbeiten ganz gezielt mit einem Umweltbildungspartner im Projekt zusammen. Damit sollen auch Wege gefunden werden, wie man mit so einem Projekt Stadtbewohner inspirieren kann, anders über Ernährung nachzudenken.

Wenn sich eine Stadt für die Anlage eines Waldgartens entscheidet, was sind die wichtigsten Voraussetzungen, damit die Vorteile langfristig auch wirklich zum Tragen kommen? Gibt es eine Mindestfläche?

Das A und O ist die langfristige Flächenverfügbarkeit, also die Flächensicherung. Wir hatten in Berlin, wo gerade der Wohnungsbau-Druck sehr stark im Fokus steht, etliche Flächen mit bis zu fünf Jahren Nutzungsvertrag und Verlängerungsoptionen angeboten bekommen. Damit kann man keinen Waldgarten anlegen. Wir haben jetzt eine Mindestlaufzeit von 30 Jahren angesetzt. Von den Obstbäumen soll ja auch etwas geerntet werden und ökologische Effekte werden voraussichtlich erst nach mehreren Jahren und Jahrzehnten richtig wirksam. Der zweite wichtige Aspekt ist die Bodenqualität. Viele Städte haben ziemlich kontaminierte Böden oder Flächen mit Schwermetallbelastung. Flächen zu finden, die tatsächlich auch einen guten, unbelasteten Boden haben ist eine Herausforderung aber auch eine Voraussetzung. Denn nur dadurch kann die Lebensmittelsicherheit gewährleistet werden, die eine Voraussetzung sein sollte, wenn auf öffentlichen Grünflächen am Obst- und Gemüse des Waldgartens öffentlich geerntet und genascht werden kann.

Darüber hinaus haben wir ein systematisches GIS-Verfahren entwickelt, um zu untersuchen, wo auf stadträumlicher Ebene geeignete Flächen sind und Aufwertungspotenziale durch Waldgärten vorliegen. Wo könnte man mit einem Waldgarten sowohl das Klima verbessern, ökologische Vorteile, wie z.B. einen Biotopverbund herstellen, und gleichzeitig soziale Aspekte aufwerten. Wo sind dafür die Hotspots? Neben der stadträumlich-kartografischen Herangehensweise bei der Flächensuche, ist der zweite ebenso wichtige Aspekt die Betrachtung der Menschen und Institutionen, die potenziell eine Trägerkonstellation ermöglichen, um einen Waldgarten im öffentlichen Raum zu entwickeln und langfristig zu betreiben.

Zur Mindestfläche haben wir im Rahmen der wissenschaftlichen Voruntersuchung zum Projekt Urbane Waldgärten mit verschiedenen städtischen Akteuren diskutiert. Wir haben dabei 5.000 Quadratmeter als Mindestgröße angesetzt, angelehnt an die Mindestfläche für Wald der internationalen Definition der FAO. Das haben wir auch für die entstehenden Modellprojekte mit dem Bundesamt für Naturschutz diskutiert, da 5000 Quadratmeter für Städte sehr große Flächen sind. Aber wenn die ökologisch-klimatischen Vorteile des Waldgartens im Stadtkontext wirksam werden sollen, dann nehmen wir basierend auf Erkenntnissen anderer städtischer Gehölzstrukturen an es braucht eine gewisse Flächengröße. Für uns ist diese Größe jetzt erstmal eine Annahme, um die Wirkungen des Waldgartens im Rahmen der Forschung überprüfen zu können. Die Frage „Ab welcher Größe ist ein Waldgarten ein Waldgarten?“ schwingt immer etwas mit. Es gibt auch sehr kleine private Waldgärten mit relativ wenigen Bäumen und ich werde oft gefragt ob man Waldgärten als Tiny Forest entwickeln kann. Ich denke mindestens 200 Quadratmeter sollten es sein, damit überhaupt eine waldartige Struktur entstehen kann.

Gibt es bereits gute Beispiele für urbane Waldgärten in Deutschland und Studien zu deren Wirkungen?

Nur sehr spärlich. Bei einer Recherche vor dem Projektstart bin ich auf einige Waldgarteninitiativen gestoßen, wie z.B. im Stadtteil Jerusalem in Meiningen und einen entstehenden Waldgarten am Stadtrand in Freiburg. Aber systematisch geplante urbane Waldgärten wie wir sie mit dem Projekt entwickeln konnte. Wir haben festgestellt, dass es an verschiedenen Orten kleinere Initiativen gab, die Waldgärten in der Stadt gegründet hatten, die aber dann wieder verschwunden sind. Und da war dann immer die Frage: Woran liegt das denn? Es gibt zum Beispiel in Berlin den Gemeinschaftsgarten „Peace of Land“, die zeitgleich mit Kursen zu Waldgärten angefangen haben, einen Teil der Fläche zu einem Waldgarten zu entwickeln. Aber der Garten muss jetzt umziehen, die Fläche ist nicht gesichert und damit steht und fällt eben auch die langfristige Perspektive die für einen langfristigen Bestand von Gehölzen in einem Waldgarten grundsätzlich nötig ist.

Studien zu urbanen Waldgärten gibt es in dem Sinne leider kaum, zumindest nicht zu den langfristigen ökologischen Wirkungen. Eine Initiative in den Niederlanden hat eine App entwickelt, die darauf abzielt, Daten zu Waldgärten bzw. Food Forests zusammenzutragen. In den USA gibt es inzwischen an die 70 urbane Waldgärten, aber ich konnte nur sehr wenige Forschungsergebnisse dazu finden. Von Stephanie Albrecht wurde allerdings im Rahmen ihrer Doktorarbeit untersucht, welche Potentiale Waldgärten als Nachhaltigkeitsansatz haben und hinsichtlich der sozialen Prozesse gemeinschaftlicher Waldgärten in den USA gibt es ein Buch von Catherine Bukowski und John Munsell. Ansonsten haben wir aber vor allem bezüglich des Produktionspotentials von Waldgärten bisher leider nichts gefunden und sind dankbar über Anregungen und Kooperationen.