Ein Interview
Felix Riecken ist Agrarwissenschaftler, DeFAF-Mitglied und: motiviert! Auf dem Hof seiner Familie in Schleswig-Holstein hat er in diesem Jahr zusammen mit seiner Schwester Sina das umgesetzt, was dem DeFAF am Herzen liegt: mehr Agroforstsysteme in Deutschland etablieren und damit eine zukunftsfähige Landwirtschaft mitgestalten. Wir möchten von ihm wissen, was ihn dazu bewogen hat und wie es ihm mit seinem Vorhaben ergangen ist.
Der Betrieb eurer Familie ist ein Milchviehbetrieb. Was hat euch dazu bewogen, ein Agroforstsystem anzulegen?
2018 war für uns ein traumatisches Jahr. Es war jenes, in dem uns eine Dürrekatastrophe heimsuchte, die in der Geschichte unseres Betriebes so noch nicht erfahren wurde. Eigentlich hatten wir hier in Schleswig-Holstein immer zu viel Wasser, nun zu wenig. Aus Futterknappheit mussten wir im August unser Wintersilo anbrechen, zwölf unserer Tiere an den Schlachter verkaufen, eines verendete nach einem Hitzeschlag. Das alles kurz nachdem wir die anstrengende Bio-Umstellung bewältigt hatten. Die Dürre brachte uns Existenzängste und zeigte, dass wir Landwirt*Innen die ersten sind, die die Auswirkungen des Klimawandels zu spüren bekommen. Laut verschiedenen Studien waren nämlich genau die erhöhten Temperaturen dafür verantwortlich, dass uns über Monate kein Regen erreichte. Getrieben von Fragen zum Thema Ökolandbau meiner Berufskollegen, die im nahen Umfeld bereits praktizierten, studierte ich an der Uni Kassel und beschäftigte mich mit verschiedenen Themen rund um Tiere, Fruchtfolgen und Nährstoffkreisläufe. Ende des Jahres 2018 beschäftigte mich nur noch ein Thema: Wasser.
Als ich im Grundkurs zum Thema Regenerative Landwirtschaft saß, wurde ein Vortrag über das mir noch neue Thema Agroforst gehalten. Mir wurden die Augen geöffnet. Mir wurden Antworten auf Fragen gegeben, die ich mir bis dahin nicht einmal gestellt hatte. Effizientere Nutzung der Sonneneinstrahlung und damit höhere Photosynthese-Raten pro Fläche, Schaffung von Lebensräumen für mehr Biodiversität, Steigerung der Bodenfruchtbarkeit durch mehr Biomasse im System und ganz besonders wichtig: ein effizienterer Umgang mit der nun knappen Ressource Wasser. Dass Schattenwirkung der Bäume, Windreduktion der Hecken und Schubbermöglichkeiten am Baumschutz den Tieren zugutekommen, ist ein willkommener Nebeneffekt eines ganzheitlich gedachten, der Erderwärmung gegenüber resilientem Ökosystem.
Wie sieht euer Betriebskonzept für die nächsten Jahre aus und welche Nutzung ist für die Produkte aus dem Agroforstsystem geplant?
Wir sind ein ziemlich einseitig spezialisierter Milchviehbetrieb. 2006 haben wir eine eigene Molkerei gebaut und vermarkten seitdem unsere Produkte direkt. Mit „rieckens landmilch“ haben wir eine Marke geschaffen, die einen guten Absatz für eine Vielzahl verschiedener Produkte bringt. Dies ist unsere besonders komfortable Situation, was den Ausbau in neue Betriebszweige ermöglicht. Das Herz des landwirtschaftlichen Betriebes soll mittelfristig eine Heutrocknung bilden. Sie soll uns in der Futterwerbung für die Rinder unabhängiger vom Wetter machen. Außerdem wird so die Möglichkeit geschaffen auch die Esskastanien und Walnüsse in dieser Anlage zu konservieren. Erstere bilden ein Pilotprojekt im Norden mit zwanzig Bäumen verschiedener Sorten.
Auch das Laub der Futterhecke, die mit Werthölzern kombiniert ist, soll ihren Weg in die Trocknung finden und über die Maulbeerblätter die Milchkühe mit zusätzlichen Proteinen versorgen. Hasel, Holunder, Esskastanie, Ahorn, Eberesche und Erle liefern in erster Linie Mineralstoffe, die Erle versorgt die Umgebung zusätzlich mit Stickstoff über ihre Wurzelsymbionten. Dieses Projekt soll mit der Erweiterung der Weidetriebwege ebenfalls ausgeweitet werden. Die Streuobstwiese mit Hochstämmen auf der Weide soll zum sozialen Treffpunkt werden, indem Obstbaumschnittkurse und Ernteaktionen die Menschen zusammenbringen. Vielleicht haben wir noch Zeit für eine kleine Baumschule für mehr Agroforstbäume. Die Fläche, auf der Agroforstwirtschaft betrieben wird, soll Jahr für Jahr sukzessive wachsen. Es ist angedacht, langfristig die Kreisläufe und selbst produzierten Nahrungsmittel auf dem Hof durch biointensiven Gemüsebau, Legehennen im Mobilstall, einige wenige Mastschweine und eine Speisepilzkultur ganzheitlicher zu gestalten. Bis dahin ist aber noch einiges zu tun.
Agroforstwirtschaft ist für viele ja noch eine recht unbekannte Landnutzungsform. Wie waren die Reaktionen eurer Berufskollegen und Nachbarn auf euer Vorhaben?
Wir sind bekannt als ein Unternehmen, das früh seinen eigenen Weg gegangen ist und sich sehr unabhängig von anderen Berufskollegen entwickelt hat. Unser Umfeld ist von uns also gewohnt, etwas Unerwartetes zu erleben. Da wir auch als ein ziemlich erfolgreiches Kleinunternehmen gelten, waren die Haltungen eher interessiert als abgeneigt zu deuten. Eine gesunde Skepsis war bei den meisten dennoch zu spüren. Ein Berufskollege war bei einem Beratungsgespräch anwesend, bei dem wir mit zehn Personen, begleitet von Burkhard Kayser, das Thema Agroforst an unserem Standort besprachen. Zum Ende wurde ich von dem Berufskollegen aufgefordert, noch gleich ein paar mehr Bäume für ihn mit zu bestellen.
Bekannte und Nachbarn aus dem Dorf, denen wir von unseren Vorhaben berichteten, waren sichtlich erfreut, gar begeistert von den Ideen und Aussichten, die das Projekt liefert. Von Lob und Anerkennung gingen die Reaktionen über schiere Begeisterung bis hin zu spendablen Unterstützungen. Die Resonanz berufsfremder Menschen ist überwältigend.
Und wie verlief die praktische Umsetzung? Welche Hürden gab es?
Zunächst einmal war die Pandemie das größte Problem. Wir hatten zwei größere Aktionen geplant, zu denen jeweils 100 Personen angemeldet waren. Diese mussten wir dann auf mehrere kleinere Aktionen umlegen, was in der Organisation etwas mühselig war. Das nächste Problem war eine kleinere Trockenheit Ende August bis in den Oktober hinein, wodurch die Böden sehr hart waren. Das Eindrücken der Pfähle für den Baumschutz war ernüchternd, das Graben der Löcher kräftezehrend. Daher war es fast ein Segen, dass die Bäume zu den geplanten Terminen noch nicht lieferbar waren. Der warme Herbst brachte die Pflanzen dazu, ihre Blätter nicht abwerfen zu wollen. Da wir wurzelnackte Waren bestellt hatten, verzögerte sich die Lieferung um teilweise mehr als einen Monat. Es war aufwändig dies alles zu koordinieren, die Kommunikation zu den Helferinnen und Helfern aufrecht zu erhalten und die Arbeit zu planen. Aber letztendlich ist alles gut gegangen. Auf zehn Esskastanien warten wir noch. Alle anderen Bäume haben ihren Weg in den Boden gefunden und nach und nach werden die letzten Feinarbeiten für die diesjährige Pflanzsaison abgeschlossen. Die Pfähle konnten so gesetzt werden, dass sie den Winter über stehen bleiben. Hier wird aber im Frühjahr noch etwas Arbeit auf uns zu kommen, wenn wir einige noch etwas tiefer in den Boden drücken.
Was würdet ihr anderen Landwirten empfehlen, wenn sie ein Agroforstsystem anlegen möchten?
Wenn man einen Baum pflanzt, geht man – je nach Auslegung des Agroforstsystems – davon aus, dass dieser für eine ganze Weile an dieser Stelle stehen bleiben soll. Wo, was, wann, wie viele sind vier von vielen Fragen, die in eine sehr komplexe Betrachtung unserer Landnutzung münden. Fragen für die sich bisher wenige die notwendige Zeit nehmen konnten. Die Anlage und letztendlich die Bewirtschaftung von komplexeren Agroforstsystemen ist sicher für viele mit Aufgaben verbunden, zu denen sie bisher noch keine Erfahrungen sammeln durften. Ich hatte das Glück, mir während des Studiums die Zeit nehmen zu können, um mich intensiv mit diesen Thematiken auseinanderzusetzen und einen Haufen Arbeit in die Planung und Betrachtung unserer Flächen zu stecken. Man sollte sich nicht scheuen, hier eine Beratung hinzuzuziehen, die einem die ein oder andere Erfahrung vermitteln kann. So kann man Fehler vermeiden, die man sonst für sehr lange Zeit bereuen würde. Darüber hinaus bieten mittlerweile mehrere Akteur*Innen großartige Weiterbildungen an, die viele Fragen im Vorfeld klären, fundiert in die Thematik einsteigen lassen und Möglichkeiten aufzeigen.
Jede/r, der/die mit dem Gedanken spielt, sollte denke ich ganz tief in sich gehen und die Frage beantworten, ob man sich gerne mit Bäumen beschäftigen möchte. Mit der Pflanzung ist die Arbeit nämlich nicht getan. Dennoch gibt die Agroforstwirtschaft ein schier unendliches Spektrum an verschiedenen Möglichkeiten, die teils mehr, teils weniger arbeitsintensiv sind. Sicher ist, dass es auf jedem landwirtschaftlichen Betrieb einen sinnvollen Nutzen von Bäumen und Sträuchern gibt, die das Ökosystem positiv beeinflusst. Themen wie die Gemeinwohlökonomie oder die Nachhaltigkeitsbilanzierung „SMART“ vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FibL) lassen dann auch die Betriebswirtschaft attraktiver erscheinen, damit die Zahlen der Thematik nicht die Euphorie nehmen. Darüber sprechen, was man vorhat und andere Menschen zu integrieren ist denke ich die größte Motivationsquelle. So wird man immer wieder daran erinnert, dass man auf dem richtigen Weg ist.